Adéla Krbůšková und Jaroslav Krbůšek: Gespräche in Zdeněk Sýkoras Atelier (Rozmluvy v ateliéru Zdeňka Sýkory)

Zdeněk Sýkora stammt aus Louny und ist ein Heimatpatriot. Seine Bilder sind heute in renommierten Galerien auf der ganzen Welt zu finden. Er ist ein Vorreiter für den Einsatz von Computern in der Kunst. Das Haus, in dem er mit seiner Frau lebt, haben sie vor vier Jahren gekauft und umgebaut. Das neugotische Bürgerhaus, das Architekt Kamil Hilbert Ende des vergangenen Jahrhunderts entworfen hatte, schien ihnen zunächst wenig reizvoll. Während des Krieges befand sich darin eine Polizeistation, danach wechselte es oft den Besitzer, was am Gebäude seine Spuren hinterließ. Eine Sache bewog sie dennoch zum Kauf: 

Ich war auf den herrlichen Blick erpicht, den man von hier hat. Unterhalb von uns fließt die Eger, mein Schicksalsfluss, und in der Ferne sehe ich die Hügel des Böhmischen Mittelgebirges – diese eruptiven, durch Erosion abgeschliffenen Lavabuckel. An diesem Fluss habe ich meine Kindheit verbracht, ich kenne dort jeden Stein. Dieser Blick faszinierte mich und seinetwegen rissen wir die Trennwände zwischen drei Räumen heraus – es entstand mein Atelier mit einem riesigen Fenster. Ich bin in ständigem Kontakt mit der Landschaft, die ich jahrelang gemalt habe.

 

Das ist der Grund, warum Sie nicht nach Prag gezogen sind?  

Einer von vielen. In Prag habe ich studiert, dann dreißig Jahre am Institut für Kunsterziehung gelehrt, ich hatte sogar ein Atelier, aber ich habe dort keinen einzigen Strich gemalt. Ich fühlte mich wie im Sing Sing, denn in diesem Atelier mit Oberlicht fehlte mir der Ausblick. Da pendelte ich lieber jeden Tag und malte in Louny.

 

Es heißt, Sie hätten schon damals große Leinwände bemalt und sie später sogar aus dem Fenster des kleinen Ateliers abseilen müssen. Damit haben Sie die Theorie ins Wanken gebracht, dass man in einem kleinen Raum nur kleine Dinge vollbringen kann.

Bis zum Jahr 58 habe ich alle Bilder in der freien Landschaft gemalt – sommers wie winters stand ich draußen und diese Weite wurde ein Teil von mir. Emil Filla, der damals in einer Ausstellung meine Bilder sah, ließ mir ausrichten, ich solle unter keinen Umständen kleine Formate malen, ich hätte eine Begabung fürs Monumentale. /Redaktionelle Anmerkung: Fillas Kommentar zu Sýkoras erster Einzelausstellung von 1952 ist als handschriftliche Notiz von Čestmír Berka im Archiv LZS erhalten./ Im größeren Maßstab erkennt man, ob das gewählte Thema das Format vertragen kann oder nicht. Auch in den Strukturen und Linien ist das Prinzip der Fortführung, der weiteren Entfaltung in alle Richtungen enthalten. Das Öffnen des Raums ist bei mir ein Lebensgefühl und -prinzip. Ich habe eine physische Aversion gegen geschlossene Räume und Dunkelheit, was sicher in Zusammenhang steht.

 

Sie widmen sich nun schon dreißig Jahre der Computerkunst. Computer sind weit vom Leben entfernt, aber Ihre Linienbilder sind sehr lebendig, ja geradezu animalisch.  

Meine Vorstellungen und Visionen von den Bildern sind vital und sinnlich. Ihr Grundprinzip ist der Zufall. Sie werden mit geometrischen Mitteln umgesetzt, nicht mit dem Computer. Dieser produziert nur Reihen von Zufallszahlen nach bestimmten Vorgaben. Die Vitalität der Bilder ist die Folge des Zusammenwirkens von System und Zufall. Also nicht anders als in der Natur.

Für April planen wir eine Ausstellung in der Stadtbibliothek Prag, wo jedem Bild ein Maximum an Dokumentation beigefügt wird /Redaktionelle Anmerkung: Die Konzeption der Ausstellung änderte sich am Ende, die Materialien zu den Bildern wurden nur in eingeschränktem Maße verwendet./, damit zu sehen ist, woraus es entstanden ist. Die Vorbereitungsphase ist anstrengend und langwierig, aber der Entstehungsprozess ist auch nach Jahren ungemein aufregend. Jedes neue Bild ist die Fortsetzung des vorhergehenden.

 

Kommt es nicht manchmal vor, dass Sie Lust haben, während der Arbeit etwas zu verändern? 

Ich respektiere alles, weil ich es festgelegt habe. Lediglich bei den nächsten Vorgaben nehme ich dort eine Verschiebung vor, wo im vorherigen Bild etwas nicht meiner Vorstellung entsprach: Aber es entgleitet mir immer wieder unter den Händen. Man könnte sich mit der Zeit an bestimmte Konventionen gewöhnen, aber wenn ich mich konsequent an die aufgestellten Regeln halte, ist das für mich überaus lehrreich, ich weiß vorher nie, wohin sie mich bringen.

 

Keine Langeweile, keine Routine? 

Immer wieder neue Überraschungen. An einige Bilder muss ich mich nach und nach gewöhnen, was verwunderlich ist. Das Moment des Zufalls, das mich überrascht, ist ein Freiheit schaffendes Element. Dann muss man mit den eigenen Konventionen brechen.

 

Aus Ihren Bildern ist Musik zu hören, sie lassen Freude und Leid spüren. Aber diese Zahlen...

Das ist schon in Ordnung, darum geht es, nicht um eine Technologie und wie ich zu ihr gekommen bin. Oft spielt der Zufall eine Rolle... 

 

Sind Sie je auf die Idee gekommen, Ihre Bilder als Musikpartitur zu verwenden, wo sie so musikalisch sind?

Da sprechen Sie ein uraltes Projekt von mir an, für das ich aber nicht genug Zeit habe. Die Richtungen, Farben und Linien kann ich in Klänge umwandeln, in eine konkrete Komposition. Ich hoffe, dass ich noch dazu komme. Das Leben geht so schnell vorbei, ich bin dieses Jahr 75 und habe den Kopf voller Pläne. Deshalb muss ich mich beeilen.

 

Sie haben von glücklichem Zufall gesprochen. Glauben Sie, dass sich dem Menschen verschiedene Möglichkeiten auftun, dass es aber nur wenige schaffen, die richtige Spur zu verfolgen?

Ich habe jahrelang Landschaften gemalt und war nicht zufrieden. Aber ein Funke von dem, das mich dazu trieb weiterzumachen, brachte die Wende zu dem, was ich heute tue. Es braucht vor allem Ehrlichkeit. Man darf nichts nachahmen, nicht wollen, dass es nach etwas aussieht. Dem eigenen Unvermögen treu sein, mit dem man arbeitet, dann kommt man möglicherweise weiter.

 

Ihre Wohnung ist überwiegend weiß (das Arbeitszimmer Ihrer Frau schwarz-weiß), wie es oft bei Künstlern der Fall ist, aber in Ihrer Arbeit spielt Farbigkeit eine wichtige Rolle.

Als junger Mensch war ich ein Bewunderer des Kubismus und Surrealismus. Dann kam ich nach dem Krieg nach Prag an die Hochschule. Professor Salcman baute ein Stillleben vor mir auf und ich stellte fest, dass ich weder zeichnen noch malen kann, dass ich mit Farbe weder eine Form noch einen Raum schaffen kann. Es dauerte lange, bis ich das Geheimnis der Farbwerte begriff. Darin liegt eigentlich der Anfang der modernen Kunst: Ende des 19. Jahrhunderts führte die Fokussierung auf die Farbe dazu, dass sich die Künstler z.B. für das Modellieren eines Raums durch Licht und Schatten nicht mehr so sehr interessierten. Zu diesem Thema habe ich dann auch dreißig Jahre lang an der Philosophischen und Pädagogischen Fakultät Vorlesungen gehalten, und wenn man etwas selbst erklärt, braucht man ein viel tieferes Verständnis, als wenn man es nur verstehen muss. Die Farbe kann in einem Bild Gefühle ausdrücken, nichts Konkretes beschreiben, sondern autark existieren.

 

Warum gibt es bei uns so wenig Farbe in der bildenden Kunst?

Weil sie aufgehört hat, das zentrale künstlerische Problem zu sein. Die Pariser Schule und alles, was in ihrem Umfeld entstand, führten zu einer Befreiung der Farbe. Diese hat so viele Gesetzmäßigkeiten wie die Musik oder die Literatur. So wie das musikalische Gehör einer Ausbildung bedarf, so kann man ohne gute Schule nicht gut malen. Bei uns gab es an der Akademie keine Professoren, die das gelehrt hätten.

 

Die tschechische Kunstszene hat es nicht so mit der Geometrie. Sie sucht meist nach dem Inneren, nach Poesie, dem Surrealen...

Geometrie war doch die Grundlage der Erkenntnis und sie ist auch Teil des gegenwärtigen Denkens. Die Geometrie hat als autonomes Ausdrucksmittel eine eigene Kraft und Magie, hat ihr Geheimnis. Sie erfordert mehr Sensibilität als die Kunst, die Gefühle oder Ideen illustriert. Es gibt aber Menschen, die einen großen Misthaufen brauchen, um überhaupt etwas zu riechen.

 

In Ihren Bildern ist die Harmonie mit freiem Chaos verbunden und das ist das Aufregende an ihnen.

Mit den Jahren, in denen ich dieses System verwende, gelange ich zu der Erkenntnis, dass im Zufall Ordnung ist, dass ich mithilfe des Chaos zu einem Grundprinzip gelange. Es melden sich unabhängig voneinander Wissenschaftler bei mir, die sich mit Chaosforschung beschäftigen. Sie fragen mich, ob ich weiß, dass meine Malerei in gewisser Weise ihre wissenschaftlichen Probleme widerspiegelt, dass meine freie Spinnerei in diesem Bereich Resonanz findet. Die Sammler meiner Bilder sind häufig Wissenschaftler und das weiß ich zu schätzen. Einer von ihnen, Professor Ernest Polak aus Paris, hat mir zum Beispiel gesagt, die Linien hätten ihn gerade deshalb angesprochen, weil sie sehr seinen grafischen Analysen von Geschmack und Geruch ähneln.

 

Dann fühlen Sie sich eher zur modernen Forschung hingezogen als zum Teufelskreis Künstler-Theoretiker-Galerien-Ausstellungen?

Ich behaupte ja, dass heute die fähigsten Köpfe in der Forschung sind. Für mich ist fantastisch zu verfolgen, womit sie sich beschäftigen – zum Beispiel eben mit der Interpretation des Zufalls. Das Drama, das sich in abstrakten Sphären abspielt, fasziniert mich.

 

Mathematik und Drama – sind das nicht zwei verschiedene Dinge?

Die Wissenschaftler, die in diese Beziehung vorgedrungen sind, hören auf, Atheisten zu sein. Je mehr wir herausfinden, umso mehr Geheimnisvolles und Unfassbares kommt zum Vorschein. Eine Kunst, die die Wissenschaft ignoriert, kann keine Gegenwartskunst sein; wenn ein Künstler beschließt, Zivilisation und Wissenschaft abzulehnen, ist das nicht in Ordnung.

 

Herr Sýkora, Sie benutzen den gesunden Menschenverstand und das regt viele Leute auf, nicht wahr?

Meine Eltern und Großeltern haben auf dem Feld gearbeitet. Kunst ist eine sehr interessante Tätigkeit, für manchen persönlich womöglich lebenswichtig, aber sie als Nabel der Welt zu betrachten, sich aufs hohe Ross zu setzen... Man kann sagen, dass ein Eisenbahner für viele Menschen wichtiger ist als ein Künstler. Ich weiß wovon ich spreche, denn während des Krieges war ich selbst bei der Bahn.

 

Erstmals erschienen in der Zeitschrift „Domov“, 1995, Jg. 35, Nr. 2, S. 50–53. Das Interview ist im Buch Zdeněk Sýkora Rozhovory (Zdeněk Sýkora Interviews) zu finden.

 

Jaroslav Krbůšek (1952), Galerist.

Adéla Krbůšková (1953), Künstlerin, Journalistin.