Aleš Svoboda: Ein neues Interview mit Zdeněk Sýkora (Nový rozhovor se Zdeňkem Sýkorou), 1991
Die Art und Weise, in der die Kultur in den letzten zwanzig Jahren „reguliert“ wurde, brachte Sie in eine paradoxe Situation. Obwohl Sie nicht emigriert sind, kennt man Ihr Werk im Ausland eher als zu Hause.
Ich denke nicht, dass ich da ein Ausnahmefall bin. Mein Schicksal war identisch mit dem Schicksal meiner ganzen damaligen Generation, der Jahrgänge, sagen wir, 1910 bis 1930. Ab 1965 hatten wir die Möglichkeit, als Vertreter der zeitgenössischen tschechoslowakischen Kunst im Ausland auszustellen. Schon sehr bald waren wir sowohl bei uns als auch im Ausland bekannt und drangen praktisch in alle wichtigen Museen und Galerien auf der ganzen Welt vor. Die Möglichkeit auszustellen endete etwa mit dem Jahr 1970, aber nach einiger Zeit wurde uns wieder erlaubt, unsere Werke im Ausland zu zeigen, vor allem weil das für die Staatskasse Deviseneinnahmen bedeutete. Nach dieser gewissen Zäsur war es recht schwierig, sich wieder in den Strom der europäischen Kunst einzureihen, dennoch ist es gelungen.
Es ist wahr, dass die Kultur in gewisser Weise staatlich reguliert war. Von oben wurde eine „engagierte Kunst“ gefordert. Darüber, was „engagiert“ eigentlich bedeutete, entschieden allerdings erst unsere „Kollegen“ vom Verband bildender Künstler. Die Differenzierung war nicht durchschaubar, es wurden auch abstrakte Tendenzen erlaubt. Unsere Generation stand damals außerhalb des Verbands, womit sie öffentlich nicht existierte.
Paradox ist an meinem Schicksal nur, dass ich meine erste Retrospektive 1986 in Deutschland, im Josef-Albers-Museum Bottrop, hatte. Zu Hause dann zwei Jahre später, in Brno, während sich in Prag für sie nicht einmal ein Raum fand.
Noch zur Emigration – ich bin absolut nicht der Typ für Emigration, denn ich bin nicht einmal in der Lage von Louny nach Prag zu emigrieren.
Was für Erfahrungen haben Sie mit der Aufnahme Ihrer Werke durch das Publikum?
Ich habe mehrere Arten von Erfahrungen. Wenn unvoreingenommene, künstlerisch im Grunde ungebildete Leute zu mir kommen, bei denen ich eher Interesse für meine Landschaftsbilder aus den fünfziger Jahren erwarte, dann interessieren sie sich zu meiner Verwunderung überhaupt nicht für diese und sind am meisten von den Linienbildern aus der letzten Zeit fasziniert. Das freut mich immer ungeheuer. Das Publikum, das mir am nächsten steht, und hierher gehört die überwiegende Mehrheit der ausländischen Sammler meiner Werke, das wiederum sind Leute, die in irgendeinem Bereich arbeiten, der abstraktes Denken erfordert: Wissenschaftler der verschiedensten Fachgebiete – Psychologen, Neurologen, Biologen, Linguisten und Architekten... Bei uns ist das Problem, den Leuten irgendwie zu mehr Lockerheit zu verhelfen. Es hält sich immer noch die Vorstellung, dass ein Bild etwas darstellen muss.
Am Anfang, als wir die ersten Ausstellungen der Künstlervereinigung „Křižovatka“ hatten /Anmerkung der Redaktion: Die Gruppe „Křižovatka“ stellte in der ersten Hälfte der sechziger Jahre nur einmal aus (1964), offenbar geht es um andere Ausstellungen – MS 63, 1963; Umělecká beseda, 1964/, waren die Gästebücher voller Einträge, dass man uns aufhängen sollte und was dazu die Arbeiterklasse sagt und so, aber im Laufe von zwei Jahren war das vollständig verschwunden. Als diese neuen Sachen dann überall gezeigt wurden und sich die Leute daran gewöhnten, hatten viele von ihnen gar nicht mehr das Bedürfnis, zu den Stillleben und Landschaftsbildern zurückzukehren.
Das ausländische Publikum hat den großen Vorteil, dass ihm die gesamte zeitgenössische Kunst präsentiert wird. Sie ist in fast jeder größeren Stadt zu sehen, alle kennen sie und haben einen Überblick. Deshalb hat auch jede Richtung, jede Sichtweise ihr eigenes Publikum. Und was noch ein wichtiger Aspekt ist: dass diese einzelnen Richtungen keineswegs miteinander konkurrieren. Von Zeit zu Zeit weckt eine von ihnen stärker das Interesse des Publikums, aber das wird als etwas Natürliches, als ein Naturphänomen wahrgenommen, das die anderen Richtungen nicht degradiert. An der tschechischen kunsttheoretischen Front läuft das meist so, dass eine Richtung zur wichtigsten und für „international“ erklärt wird, und die anderen scheinen dadurch nicht mehr zu existieren. Ich selbst halte mich für einen vollkommenen Vertreter der Tradition.
Wie steht es mit der rationalistischen, konstruktivistischen Kunst bei uns?
Ich habe das Gefühl, dass sich bei uns rationale Tendenzen ziemlich ausgebreitet haben, vielleicht ein bisschen zu sehr. Aber das macht gar nichts. Ich würde es für eine sehr gute Tat halten, wenn jemand eine Ausstellung vorbereiten würde, die diese Richtung und ihre Entstehung bis zum jetzigen Entwicklungsstand präsentieren würde.
Bei uns werden von den Theoretikern traditionell imaginative Kunst, Surrealismus und Kunst mit literarischem Hintergrund bevorzugt, bei denen eine Idee apriorisch ist, die in irgendeiner Form bildlich dargestellt wird. Es gibt wenig Kunst, wo der Inhalt von der Tatsache des Werkes selbst ausgeht, es gibt wenig künstlerische Ausdrucksformen, die absolut autonom sind und die ihre eigene Existenz zum Inhalt haben. Was mich betrifft, so nähert mich die Autonomie der künstlerischen Mittel, der Umstand, dass das Bild ist, was es ist – völlig gereinigt von jeglichem bildlichen Hintergrund, erstaunlicherweise der modernen amerikanischen Kunst an.
Auch in der geometrischen Abstraktion kann man der Wirklichkeit nicht entfliehen. Heute ist Ihr Thema der Zufall...
Meine Erfahrung mit meiner eigenen Arbeit bestätigt, dass das Chaos die Voraussetzung für Ordnung ist; dass wir den Zufall für etwas Undefinierbares halten, ist nur unsere Unfähigkeit, ein höheres Prinzip zu verstehen. Es ist ewig her, das war noch während des Krieges, da habe ich bei Nietzsche den Satz gelesen: „Nur das Chaos kann einen tanzenden Stern gebären.“ (sinngemäßes Zitat, Anm. d. Übers.) Und nun, auf meine alten Tage, habe ich mich dem durch meine eigene Arbeit angenähert.
Gegen die hiesige konstruktivistische oder rational begründete Kunst wird oft der Einwand vorgebracht, sie sei dem tschechischen nationalen Naturell fremd.
Das ist ein absolut dilettantischer Einwand, denn es gibt in unserer Tradition viele hervorragende Künstler, auf die das Rationale und Konstruktivistische ganz genau zutrifft. Wer könnte beispielsweise entscheiden, ob Slavíček eher rational oder emotiv war? In seinem Bildaufbau ist so viel Durchdachtes, sein Umgang mit der Farbpalette, das ist ein so durchgearbeitetes System für die Mischung der Farben, dass es seinesgleichen sucht. Slavíček war imstande, seine Palette rational zusammenzustellen und er ging mit ihr um wie Bach mit der Musik. Und da spreche ich nicht von Jan Preisler, Miloš Jiránek, Vojtěch Preissig, Bohumil Kubišta und schon gar nicht von František Kupka.
Und dieses Wort „national“. Von dieser Kategorie würde ich besonders heute ungern sprechen, sowohl in der Kunst als auch in den umfassendsten Zusammenhängen. Dieses Wort war in der Vergangenheit oft identisch mit „offiziell“. Und das wirklich Nationale ist bei den einzelnen Künstlern gar nicht leicht zu dechiffrieren, denn alle unsere großen Persönlichkeiten gingen spontan von europäischen Tendenzen aus.
Man spricht jetzt viel von der Notwendigkeit, nach Europa zurückzukehren...
Die tschechische Kunst gehört von jeher in den Kontext der europäischen Kunst, in der älteren und jüngeren Vergangenheit genauso wie heute. Aus diesem Kontext ist sie nie verschwunden. Niemand ist aus Europa verschwunden, also muss auch niemand dorthin zurückkehren. Es ist, insbesondere heute, nicht nötig, Komplexe zu haben. Ich sehe auf der ganzen Welt niemanden irgendwie besonders herausragen, wie es zum Beispiel in der Zeit der École de Paris war. Damals war eine gewisse Ehrfurcht der Theoretiker und Künstler ihr gegenüber verständlich. Aber heute ist das nicht angebracht. Diese wiederholten Verweise darauf, dass wir zurückgeblieben seien – das erwächst eher aus einem Mangel an Selbstbewusstsein der Kunsttheoretiker und der Leute, die bei uns über Kunst schreiben.
Mit der neuen gesellschaftlichen Situation erfasste uns eine Welle der Furcht um die Zukunft unserer Kunst unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. Teilen Sie diese Zukunftsängste?
Wir werden sehen, wie sich das entwickelt. Ich kann mit absoluter Gewissheit sagen, dass ich keine Angst habe, dass einer der echten Künstler untergehen könnte. In keinem Bereich. Wenn die Epoche der Verdienste und der Beurteilung danach, wer arbeiten durfte und wer nicht, zu Ende geht, wird es wohl eher zu einer neuen Auslese, zu einer Neuordnung der Werte kommt.
Wenn Sie sich im Ausland umschauen, dort müssen sogar diejenigen, die schon zur Spitze gehören, sehr rotieren und sehen, wo sie bleiben. Die meisten von ihnen unterrichten zumindest. Es ist normal, das Geld für die eigene Freiheit anderswo zu verdienen.
Aber alles in allem mache ich mir keine Sorgen um das Schicksal der tschechischen Kunst. Es gibt bei uns so viele Talente, einen so unvorstellbaren wundervollen Genpool voller Energie, und deshalb sorge ich mich weder um die tschechische Kunst noch um das tschechische Volk.
Nun kam die pädagogische Arbeit des Künstlers zur Sprache. Ist das auch Ihre Erfahrung?
Für mich hatte das sehr große Bedeutung. Wenn ich den Studenten etwas erklären sollte, war ich gezwungen, intensiver darüber nachzudenken. Dem verdanke ich, dass ich mir über die Entwicklung der modernen Kunst absolute Klarheit verschafft habe. Und der Kontakt zu jungen intelligenten Menschen ist unbezahlbar.
Was soll nun so ein junger Mensch tun, den die Kunst in ihren Bann gezogen hat?
Er sollte dranbleiben, auf welchem Niveau auch immer. Wer auf irgendeine Weise Kunst machen muss, sollte sie machen. Wer nicht muss, sollte trotzdem dabei bleiben. Möglicherweise lebt die Kunst mehr von den Menschen, die sie nicht selbst machen. Ich kenne viele intelligente Leute, Spezialisten ihres Fachs, die die Kunst so sehr brauchen, dass man nur staunen kann.
Das Interview wurde erstmals in der Zeitschrift „Ateliér“ veröffentlicht, 21. 2. 1991, Nr. 4, S. 1. Es ist im Buch „Zdeněk Sýkora Rozhovory“ (Zdeněk Sýkora Interviews) zu finden.
Aleš Svoboda (1956), Hochschulpädagoge, Künstler. Mitglied der Künstlervereinigung „Klub konkrétistů“ (Klub der Konkretisten). Er studierte an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Kunsterziehung (Zdeněk Sýkora war der Betreuer seiner Diplomarbeit) sowie tschechische Sprache und Literatur. Danach war er viele Jahre künstlerischer Redakteur, heute lehrt er an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Karlsuniversität Prag.