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„Der Unterschied zwischen konkreter und abstrakter Kunst beruht auf der Tatsache, daß in der abstrakten Kunst der Bildinhalt von Naturvorbildern abhängt, während in der nicht konkreten Kunst der Bildinhalt unabhängig von Naturvorbildern entsteht. Als Beispiel hierfür gibt es in der Malerei einen Extremfall: einen roten Punkt auf weißer Leinwand. Der rote Punkt kann zweierlei Ursprung haben: entweder zeigt er die Sonne, die im Nebel aufsteigt – in diesem Falle ein Abstraktum; oder es ist ein roter Punkt, der ganz allein durch seine Verbindung zur Oberfläche eine artistische Realität ausdrückt. In diesem Falle handelt es sich um die Konkretion einer abstrakten Idee und folglich um konkrete Kunst.“
Max Bill
Die Linienbilder von Zdeněk Sýkora haben ihre Wurzeln im tschechischen Neokonstruktivismus der sechziger Jahre. Im Milieu, das damals in den progressiven Künstlerkreisen zum informellen Ausdruck neigte, entfaltete sich bald die konstruktivistische Antithese, deren Protagonist Zdeněk Sýkora zusammen mit einigen Freunden war.
Ursprünglich Landschaftsmaler, gelangte er am Beginn der sechziger Jahre – beeinflußt vor allem durch Matisse und Poljakov – zu hoch verallgemeinernden Bildern im Zyklus Zahrady [Gärten], der zum Schluß unmittelbar seine Ergebenheit an die Natur und deren sinnliches Erlebnis dolmetscht. Zu seinen Strukturen der Elemente (die erste von ihnen, die Graue, entsteht Anfang 1963) gelangte er also im Sinne der Definitionen Max Bills durch die Abstraktion. Er selber nennt diese Periode „Das Suchen der Farbe“. Dieses Suchen führte zu stets flächigeren Komponisten, und in diesen zu immer einfacheren und geometrischeren Gebilden. Die Bildfläche erforderte jetzt eine neue Organisierung; und diese erhielt sie in Form eines Rasters, eines topologisch organisierten Feldes sich (nur scheinbar) wiederholender Elemente. Er stellt bald fest, daß die Art, in der diese Wiederholung – Nichtwiederholung vor sich geht, eine Analogie des Computerprogramms ist, und so schaltet er in die Arbeit den Computer ein, der freilich die Aufgabe eines Apparates hat, mit der Fähigkeit, die Absicht der Autors konsequent durchzuführen: nichts mehr.
Und jetzt handelte es sich um keine Abstraktion mehr. Ohne es zu wissen und ohne es anzustreben, betrat Sýkora jetzt den Boden der konkreten Kunst, wie dies (gerade zum Unterschied von der Abstraktion) Max Bill definierte. Dies bedeutet freilich nicht, daß er sich durch irgendein Kollektivprogramm hinreißen ließe; er verfolgt immer hartnäckig seinen eigenen Weg.
Wenn nun der Maler in den Bereich des konkreten Ausdrucks spontan hineingezogen wurde, einfach dadurch, wie er in stetigem Dialog mit seinen Farben und Formen ein „Problem“ nach dem andern „löste“, wird sein Weg nun ein absichtlicher. Er durchforscht eingehend vielleicht alle Möglichkeiten der Welt der Elementestrukturen, bis er schließlich zu sogenannten Makrostrukturen gelangt, irgendwelchen großen Details der Strukturen von Kreis-Elementen. Und hier fesselt ihn keineswegs mehr das Element, durch dessen Anordnung eine Struktur oder ein System entsteht (damals, es war 1969, handelte es sich um eine Struktur aus Kreis- und Halbkreis-Elementen), sondern die Linie, welche die Umrisse der geordneten Elemente bildet.
1973 entsteht das erste Linienbild. Jede Linie im Bild erlebt ihr eigenes Leben, wobei der Ort ihrer Entstehung, die Richtungen ihrer Bewegungen und die Anzahl der die Länge ihres Lebens bestimmenden Schritte zufällig sind, durch Werfen des Loses. Trug das Werfen des Loses bei den Strukturen der geometrischen Elemente zur Aufstellung einer anorganischen Ordnung bei, hier bestimmt es den organischen, zufälligen Verlauf der Linie.
Sowohl in der ursprünglichen Phase der Elementestrukturen, als auch in den letzten zwei Dekaden der Linienkreationen (die nicht mehr des Rasters bedürfen und in Richtung Farbe, Form, Dicke und Länge der Linie absolute Freiheit genießen) sind alle diese Werke mit der Natur- und Gesellschaftsrealität homologisch. Sýkoras Werke kann man also als Modelle oder Gleichnisse betrachten, zu denen er nur und nur dadurch gelangte, daß er sich autonomen und nichts außer diesen berücksichtigenden Problemen seiner eigenen Kunst widmete, wie sie ihm diese in den einzelnen Schritten ihres gemeinsamen Dialogs stellte.
Sein Werk ist also ein unikater Beweis der inneren Harmonie, des Gleichklangs der Logik des inneren Harmonie, des Gleichklangs der Logik des Kunstwerkes (und in ihm einer der Wege der modernen Kunst überhaupt) und der Logik der modernen Wissenschaft: es ist ein Ort der Begegnung und der möglichen Verschmelzung zweier bislang scheinbar unabhängiger und auf eigenen Weben zum erwähnten Schnittpunkt gelangter menschlicher Kräfte – und darin trägt sie in sich Verheißungen sowie Drohungen beider.