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Möglichkeiten der Integration
„JH: Und zum Schluss eine ganz andere Frage: Sind deine Strukturen nur Entwürfe für Architekturprojekte oder sind sie auch autonome, eigenständige künstlerische Werke? ZS: Meine Strukturen sind eigenständige künstlerische Werke, die sich in die Architektur integrieren lassen.“ (Fußnote 1)Die strukturellen Arbeiten sind von allen Werken Sýkoras am besten dazu geeignet, in die Architektur integriert zu werden (Fußnote 2). Durch ihre nahezu emblematische, moderne Gestaltung, der fast nichts gleichkam, was es bis dahin in der tschechischen Kunst gegeben hatte, durch ihre regelmäßige Gliederung, die der Technologie der Verkleidung mit Fliesen entgegenkam, und nicht zuletzt auch durch das Einbeziehen des Computers bei ihrer Entstehung waren sie regelrecht für dieses Einsatzgebiet prädestiniert.
Einen Beitrag dazu leistete sicherlich auch die Zeit, die der Integration von bildender Kunst und Architektur wohlgesonnen war. Die sechziger Jahre waren nicht nur eine Zeit, in der neue Baumethoden und -technologien aufkamen, die vorübergehende allgemeine Entspannung ermöglichte es auch, neue Impulse aus dem Westen freier zu rezipieren, zu diskutieren und in einigen Fällen sogar an die Gedanken der Architekturavantgarde anzuknüpfen (Fußnote 3). Die utopischen Gedanken der Zeit der Entspannung wurden zudem vom Glauben an eine bessere Organisation der Gesellschaft und vor allem durch die optimistische Beziehung zur Zivilisation und zur Technik genährt (Fußnote 4).
Aus diesem Blickwinkel verwundert es nicht, dass man sich im Laufe der Zeit gerade in der Architektur der Strukturen Sýkoras bediente. Die Praxis selbst war allerdings weniger idyllisch – es ist nie einfach, vollkommen neue Ansichten durchzusetzen, auch nicht in einem Umfeld mit einem höher entwickelten gesellschaftlichen und kulturellen Niveau. Ein naheliegendes Beispiel dafür ist auch der erst kürzlich beigelegte Streit um das neue Gebäude der Nationalbibliothek. In der damaligen Tschechoslowakei kam es paradoxerweise dazu, dass als erstes eine Organisation diese progressiven Gedanken übernahm und aus freien Stücken half, sie umzusetzen, auf die man heute schon dem Namen nach wohl kaum tippen würde, obwohl sie in der damaligen Zeit einer der größten Projektierungsbetriebe war – die Militärische Projektierungsanstalt. In Zusammenarbeit mit dem dort tätigen Architekten Josef Kales führte Sýkora in den sechziger Jahren seine beiden einzigen Aufträge in der Hauptstadt (Fußnote 5) aus – die Verkleidung einer Wand in der Passage neben dem damaligen Polnischen Kulturzentrum in der Jindřišská-Straße (fertiggestellt 1968), die nach Aussage des Künstlers eine Art Bewährungsprobe (Fußnote 6) für die Mosaikverkleidung der vier Lüftungstürme des Letná-Tunnels (fertiggestellt 1969) war. Aus der Zeit zwischen 1969 und 1989 sind nur noch in zwei Städten derartige Arbeiten von Sýkora zu finden – im nordböhmischen Litvínov und im niederländischen Gorinchem.
Zdeněk Sýkora erwähnte in einem Gespräch mit Vladimír Burda, dass ihn der Architekt Josef Kales zur Zusammenarbeit aufforderte und sie auf eigene Faust durchsetzte, nachdem er seine Werke in mehreren Ausstellungen gesehen hatte. (Fußnote 7) Es war natürlich nicht leicht, mit einem völlig neuen und auf dem Gebiet der tschechischen bildenden Kunst für viele noch lange inakzeptablen künstlerischen Stil einen Durchbruch zu erzielen. Wie sich Zdeněk Sýkora in einem anderen Gespräch erinnert, gelang das Ganze schließlich nur dank ein paar gescheiten Köpfen in der Kunstkommission. (Fußnote 8)
1970 konnte Zdeněk Sýkora dank Jindřich Chalupecký noch seine Retrospektive in der Václav-Špála-Galerie durchführen, kurz danach versuchten die restaurativen politischen Kräfte auch ihn, wie alle damaligen Bürger der ČSSR, die nicht emigrieren wollten oder es nicht mehr geschafft hatten, auf Kurs zu bringen. Sýkora wurde empfohlen, die Pädagogische Fakultät, an der er lehrte, freiwillig zu verlassen, was er ablehnte. Dies hatte jedoch erstaunlicherweise keinerlei Folgen. Allerdings blieb ihm bis zu seinem Ruhestand der verdiente akademische Aufstieg verwehrt.
Während sein Stern in der Heimat sank und das Mosaik auf dem Letná-Hügel gleichsam wie ein Grabstein das Ende seiner künstlerischen Karriere zu markieren schien, schenkten ausländische Galerien und Kunsttheoretiker seinem Schaffen mehr und mehr Aufmerksamkeit. 1968 stellte er bei der Documenta in Kassel aus und im selben Jahr, in dem er das Mosaik auf dem Letná-Hügel fertigstellte, nahm er an der 1. Biennale Konstruktiver Kunst in Nürnberg und bereits zum zweiten Mal, und diesmal persönlich, an der Ausstellung „Neue Tendenzen“ in Zagreb teil. Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre fanden seine Bilder und Plastiken Eingang in bedeutende europäische und amerikanische Galerien, Museen und private Sammlungen.
Dank dieser Erfolge wurde er in den siebziger Jahren schon bald regelmäßig zu verschiedenen Veranstaltungen eingeladen. Die meisten Angebote musste er ablehnen. 1974 konnte er nur brieflich am Symposium im niederländischen Gorinchem „teilnehmen“. Das Thema war Kunst im öffentlichen Raum. Nach den von ihm eingesandten Entwürfen wurde in dieser Stadt an der Ecke Gasthuistraat/Haarstraat ein Mosaik-Gehsteig gebaut. Außer ihm nahmen an diesem Symposium Künstler mit heute überaus klangvollen Namen aus dem Kreis der „Neuen Tendenzen“ teil: Getulio Alviani, Marinus Boezem, Ad Dekkers, Kees Franse, Ewerdt Hilgemann, Ad de Keijzer, Keneth Martin, Christian Megert, François Morellet, Lev Nusberg, Panamarenko, Uli Pohl, Karl Prantl, Herman de Vries und Ryszard Winiarski. Doch keiner von ihnen hatte in jener Zeit ein Werk von solchen Dimensionen und an einem so exponierten Ort vorzuweisen. Kaum einer von ihnen konnte damals verstehen, warum ein Künstler, dem man die Möglichkeit gibt, in dieser offiziellen Form seinen markanten avantgardistischen Stil zu präsentieren, nicht persönlich an der Eröffnung des Symposiums teilnehmen darf und seine Entwürfe per Post schicken muss.
Über seine Arbeit schrieb er gemeinsam mit Jaroslav Blažek 1970 unter dem Titel Computer-aided Multi-element Geometrical Abstract Paintings auch einen umfangreicheren Beitrag für die internationale Zeitschrift „Leonardo“, deren Herausgeber Frank Malina war. In diesem Artikel beschreiben sie den Entstehungsprozess der Strukturen und neben dem Text sind außer anderen Illustrationen auch Fotos von der fertigen Wand in der Jindřišská-Straße und das Modell der Lüftungstürme auf dem Letná-Hügel abgedruckt.
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Das Ende ist offen
„ ... wenn ich in der Jindřišská-Straße oder auf dem Letná-Hügel bin, schaue ich mir immer gern Deine Kacheln an, schade, dass sie Dich nichts für die Metro machen ließen.“ Cyril Bouda, Brief vom 3. 2. 1980
Als ich im Sommer 2008 gemeinsam mit Lenka Sýkorová eine Ausstellung in Litvínov vorbereitete und wir begannen, den Stand der von Zdeněk Sýkora gestalteten Architektur zu erforschen, waren wir überrascht, wie vielfältig die Schicksale der einzelnen Werke waren. Wir konnten nicht begreifen, wie jemand unbemerkt den eisernen Vorhang eines Theaters in die Schrottsammlung abtransportieren konnte, wie man ohne mit der Wimper zu zucken ein Kunstwerk in eine Barwand umfunktionieren kann oder warum eine Stadtverwaltung erst nach einem einhundert Meter langen Marmorgehsteig fahnden muss, wenn Touristen aus den USA kommen, um ihn zu besichtigen. Um so unglaublicher erschien uns in diesem Zusammenhang, dass man in den Niederlanden Sýkoras Gehsteig auf Wunsch der Königin erneut herstellen und pietätvoll an einen anderen Standort verlegen ließ.
Das alles sagt natürlich etwas über das kulturelle Niveau und die Prioritäten unserer Gesellschaft aus und betrifft bei Weitem nicht nur Zdeněk Sýkora. Auf der einen Seite sind wir bestrebt, unsere Städte mit wunderbaren neuen Bronzestatuen und Denkmälern „aufzupolieren“, auf der anderen Seite flicken wir Marmorgehsteige mit Terrazzo, Wandmosaiken überkleben wir gedankenlos mit Gipskarton oder wir machen Barwände und Plakatflächen daraus, Bibliotheken lagern wir aus den Städten aus, damit sie nicht im Weg sind, und historische Bauten von nationalem Rang überlassen wir internationalen Werbeagenturen.
Die Lüftungstürme auf dem Letná-Hügel haben aber seit 2003 den Status eines Kulturdenkmals und in diesem Jahr sind es genau vierzig Jahre, die sie auf dem Hügel über Prag ohne größere Schäden überdauerten. Vielleicht ja auch nur, weil sie so hoch und außerdem eingezäunt sind. Ist aber das bloße Überdauern wirklich ein Grund zur Zufriedenheit? Die Schicksale von Kunst im öffentlichen Raum können, wie am Beispiel Zdeněk Sýkoras gezeigt, sehr unterschiedlich sein – die Objekte selbst können sogar von ihrem realen Standort verschwinden, sie können aber dauerhaft in den Köpfen der Menschen, in ihren Erinnerungen und Gefühlen bleiben, sie können dauerhaft die Beziehung zu einem bestimmten Ort formen. Wenn man in Büchern und heimatkundlichen Atlanten über die Stadt Prag blättert, kann man den Eindruck gewinnen, dass wir sie aber trotz ihrer evidenten, konkreten Gegenwart aus den Augen verlieren können, es kann vorkommen, dass sie überleben und dennoch nicht gesehen werden...
1 Hlaváček, Josef: Otázky pro Zdeňka Sýkoru, Výtvarné umění, 1968, Nr. 3, S. 110–117.
2 Zdeněk Sýkora betrachtet eine funktionierende Verbindung der bildenden Kunst mit der Architektur sogar als Bestätigung ihrer Aktualität: „Die Fähigkeit der bildenden Kunst zur Integration in die Architektur halte ich für einen Beweis ihrer Aktualität. Es ist immer ein gutes Gefühl, wenn eine Arbeit, die in der Abgeschlossenheit des Ateliers entstanden ist, in der alltäglichen sozialen Kommunikation zu funktionieren beginnt. Die Mosaiken an den Lüftungstürmen des Letná-Tunnels und die keramische Struktur in der Jindřišská-Straße in Prag erfüllen diese Funktion.“ Siehe Anm. 2. In diesem Zusammenhang ist auch ein Artikel Petr Wittlichs aus dem Jahr 1970 zu erwähnen, dessen Titel ich mir als Kapitelüberschrift ausgeliehen habe. Er geht darin auf einige historische Aspekte und aktuelle Fragen der Synthese von bildender Kunst und Architektur ein. Wittlich, Petr: Možnosti intergrace, Výtvarné umění, 1970, Jg. XX, Nr. 6, S. 254–267.
3 Siehe Hájková, Ludmila – Švácha, Rostislav: Kde budeme žít zítra, in: Havránek, Vít (Hg.): Akce, slovo, pohyb, prostor. Experimenty v umění 60. let, Galerie hl. m. Prahy, Praha 1999, S. 114.
4 Auf dem Gebiet der bildenden Kunst sei z. B. an die Texte Jiří Padrtas erinnert, vor allem an den programmatischen Essay „Konstruktive Tendenzen“ (Konstruktivní tendence, 1966) oder den Text im Katalog zur Ausstellung „Neue Sensibilität“ (Nová citlivost, 1968). Im selben Katalog wurde eine Umfrage veröffentlicht, die sich mit der Beziehung der ausstellenden Künstler zur gegenwärtigen Zivilisation befasste. Sýkora antwortete damals auf diese Frage: „Der Zivilisation kann man nicht ausweichen; die Zivilisation hat eine einzige Ausrichtung: größere Zivilisiertheit. Aus künstlerischer Sicht kann man sie nicht als separates Phänomen betrachten, die Kunst ist ein Teil von ihr geworden und schwimmt mit dem Strom oder gegen ihn.“
5 In Prag gibt es zwei abgeschlossene Auftragswerke. Wir wissen aber aber heute von drei weiteren Projekten, die angedacht waren, aber am Ende aus verschiedenen Gründen nicht verwirklicht wurden.
6 „...wir prüften dabei praktisch, ob das Verkleidungssystem für die Lüftungstürme des Letná-Tunnels, für die ich ein weit monumentaleres Glasmosaik entworfen hatte, geeignet ist.“ Siehe Anm. 1.
7 Burda, Vladimír: Pražský podchod, siehe Anm. 1.
8 „Ende der sechziger Jahre sprach mich der Architekt Josef Kales an, ob ich die Idee der Strukturen nicht in der Architektur zur Anwendung bringen wolle. Als wir das erste Mal vor die Kunstkommission traten, war das ein Schock. Dank der sechziger Jahre saßen dort aber noch ein paar intelligente Leute, sodass die keramische Verkleidung der Wand in der Jindřišská Straße schließlich genehmigt wurde. An den Lüftungstürmen des Letná-Tunnels versuchte ich dasselbe ein zweites Mal. Beide Arbeiten entstanden mithilfe des Computers. Der Mathematiker Jaroslav Blažek übertrug meine Vorstellungen in die Computersprache.“ Hůla, Jiří: Životní dílo malíře Zdeňka Sýkory v Městské knihovně, Denní telegraf, Jg. 4, 8. 6. 1995, Nr. 133, S. 10.